Feature - Fährtenlesen ist wie Tanzen
Buchfink, Pirol und Mönchgrasmücke statt Wecker. Bei Vater Peter klappt das prima, Sohn Jonas braucht einen Extrastups – er würde gern weiterschlafen, tief eingemummelt in den kuschligen Schlafsack. Doch der Tag startet früh im Vater-Sohn-Wildnis-Camp im Herz der Mecklenburgischen Seenplatte. Noch vor dem Frühstück paddeln sie raus auf den See – der frühe Vogel fängt den Wurm. Und frühe Vögel singen zu hören, ihre Stimmen unterscheiden zu lernen und die gefiederten Sänger im Idealfall sogar zu sehen – das ist eines der Naturerlebnisse für die Kanuten-Doppel aus Männern und ihren Jungs. Später zum Frühstück gibt es Grött – das ist schnöder Haferschleim, aber allemal besser als Würmer oder Fliegen.
Jedes Jahr zu Himmelfahrt öffnet Wieland Woesler in seiner „Wildnisschule Seenland“ das Vater-Sohn-Abenteuercamp. Vier Tage gemeinsame Zeit an einem einsamen See, mit Tipi, Zelten und Feuerstelle. Vier Tage einfaches Leben mit Rauchgeruch, dreckigen Fingernägeln und einem Wasserkocher namens Vulkan. Vier Tage, in denen sie Seeadler jagen sehen und Füchse durch den Wald streifen. Vier Tage, in denen Vater und Kind im doppelten Sinn in einem Boot sitzen. Vier Tage Nähe, Austausch, Abenteuer und Spaß. Vier Tage, in denen die Zeit anders tickt. Und genau das soll sie auch: „Wir wollen ein Stück Zeitlosigkeit schaffen“, betont Woesler. „Kein Telefon, nicht mal Uhren – das ist doch der wahre Luxus heutzutage.“
Für Menschen, die sich intensiver mit ihrer Umwelt beschäftigen und in ihre Geheimnisse eintauchen wollen, haben Woesler und sein Team aus Wald-, Wildnis- und UmweltpädagogInnen aber noch sehr viel mehr in petto. Denn allesamt sind sie Experten, die sich der Natur zutiefst verbunden fühlen. Die sich auskennen mit Vogelsprache und Wahrnehmungsschulung. Mit Wildkräutern und ihrem Gebrauch. Mit „Naturmentoring“, wie es die Naturvölker dieser Erde praktizieren. Zum Beispiel Fährten lesen. Dieses sei wie Tanzen oder ein Gespräch mit dem Großen Gott – so sagen es die Buschleute der Kalahari, immerhin die besten Spurenleser der Welt.
Wie also lebt man in der Wildnis? Wie überlebt man in der freien Natur? Wie kann man im Winter ohne Schlafsack draußen schlafen und es trotzdem warm und bequem haben? Welche Pflanzen helfen bei Mückenstichen und kleinen Schnitten? Welcher Vogel begrüßt als erster den neuen Tag? Was passiert, wenn man sich zeitlos und ohne Zielvorgabe durch die Natur treiben lässt und einfach seiner Intuition folgt? Fragen über Fragen, auf die es in den Camps für Kinder und Schulklassen jede Menge schlaue Antworten, präzise Anleitungen und spannende Aufgaben gibt.
In den Bussard-Camps etwa, die zu jeder Jahreszeit in den Schulferien stattfinden, verbringen Kinder eine Woche jeweils von morgens bis abends im Wald. Angeleitet von Wildnispädagogen gehen sie auf die Suche nach Tierspuren, Federn und Abenteuern, töpfern mit Lehm, bauen aus Ästen Wege über Bäche, flechten Seile aus Pflanzen, machen Feuer ohne Streichhölzer. In den Waldkauz-Camps können sie darüber hinaus übernachten, auf Wunsch sogar in ihren selbst gebauten natürlichen Schutzbehausungen.
Hier lernen sie in der Gemeinschaft, die Natur mit allen Sinnen zu begreifen. Sie spüren Wärme, Kälte, Regen. Sie laufen barfuß über Waldboden. Sie schleichen wie alte Scouts leise und unsichtbar durchs Unterholz. Sie suchen, erkennen und verfolgen Tierspuren. Sie identifizieren essbare und giftige Pflanzen. Sie finden einen Pfad mit verbundenen Augen. Sie beobachten die Sterne. Sie schlafen im Freien. All das schärft die Sinneswahrnehmung und schult auf natürliche Weise Motorik und Konzentration.
In den Camps lernen die Kinder Pflanzen und Tiere mit ihren Eigenarten und Lebensgewohnheiten kennen und sich in andere Wesen einzufühlen. Sie üben sich in alten Handwerkstechniken: Pfeil und Bogen konstruieren. Salben aus Kräutern kochen. Körbe flechten. Feuersteine bearbeiten. Löffel und Schalen mit Glut aus Holz ausbrennen. Und ganz nebenbei lernen sie Teamarbeit, Kommunikation, Dankbarkeit, Geduld sowie Respekt vor anderen und vor der Natur. O-Ton Woesler: „Bei uns sollen und können sie Fähigkeiten erwerben, die ihnen ein Leben lang von Nutzen sind.“
Aber auch das Trainingsprogramm für Erwachsene ist durchaus umfangreich und anspruchsvoll. Weiterbildungskurse in Wildnispädagogik beschäftigen sich unter anderem mit dem Spuren- und Fährtenlesen. Ganz im Sinne der großen Vorbilder aus Afrika, die tief in die Seelen der Tiere eintauchen, die sie verfolgen. Beim Kurs „Respektvolle Jagd“ wiederum wird das uralte Handwerk der Jagd mit allen seinen Facetten gelehrt. Kombiniert mit aktuellen Erkenntnissen aus Wildbiologie, Ökologie und Tierschutz. Die Pilgerreise „Hin und weg“ und die Kanutour „Wassernomaden“, beide in der Seenplatte, sind weitere Spezialangebote der Wildnisschule.
Überlebenstechniken gehören auch zu den zentralen Säulen im Programm von TrEWoNa – das steht für "TrainingsErlebnisWochen in der Natur". Unter diesem Motto verbinden der Rostocker Kung Fu- und Qigong-Lehrer Felix Fechner, der Tanzpädagoge Eric Steinbacher und die Wildnis-Expertinnen Susanne Bartsch und Eva Klinke Kampftechniken und Tanz mit Survival, Erlebnispädagogik und Naturwahrnehmung. Jeweils eine Woche lang für Teilnehmer aller Altersklassen und Fähigkeiten.
Ein Konzept, das bestens ankommt: Durch tägliche Übung von Kung Fu-Techniken und Tanzstilen des Hip Hop wie Popping, Locking und Breakdance werden Körperbeherrschung und Rhythmus trainiert, Kreativität und Disziplin gefördert sowie geistige und körperliche Flexibilität gesteigert. Das alles hilft auch im Survival-Training, wo es ums (Über)Leben in und mit der Natur geht: Feuer machen, Nahrung finden, Wasser aufbereiten, Werkzeuge herstellen, Unterschlupf bauen, Anschleichen, Wetterkunde und vieles andere mehr.
Großen Wert legt darüber hinaus auch das TrEWoNa-Team auf Erlebnispädagogik – dazu gehören gemeinsame Touren, Geländespiele, Nachtaktionen – und Naturwahrnehmung: Training auf weiten Wiesen, Schleichen durchs Unterholz, Beobachten von Tieren, Sitzen am Lagerfeuer, Schlafen unterm Sternenhimmel. Der gewünschte Effekt: Fernab von Xbox, Computer & Co. macht die bewusste und gezielte Nähe zur Natur Menschen ausgeglichener, entspannter und oft auch richtig glücklich.
Quelle: Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern e.V.