Mit Goethe und Feininger durchs Weimarer Land
Idylle mit Tiefgang: Das Weimarer Land, die Region rund um die Goethestadt Weimar, ist ein Eldorado für kulturinteressierte Naturliebhaber. Schon Goethe und Schiller fanden hier abseits der Stadt Inspiration und Ruhe zum Arbeiten. Der Bauhauskünstler Lyonel Feininger erkundete und zeichnete die Dörfer gern mit dem Sportrad. Viele andere große Geister haben die hügelige Landschaft im Herzen Thüringens geliebt und hier im Laufe der Jahrhunderte ihre Spuren hinterlassen - so wie die Region in ihren Werken. Das macht das Unterwegssein hier so besonders.
„Das Land hier ist wunderbar abwechslungsreich an Stimmungen“, schrieb ein begeisterter Lyonel Feininger an seine Frau Julia in Berlin. Der Künstler amerikanischer Abstammung brachte diese Zeilen im Juni 1913 zu Papier. Es ist eine von vielen Liebeserklärungen an eine Region, die er erst wenige Jahre zuvor entdeckt hatte und die in seinem Lebenswerk einen Ehrenplatz einnehmen sollte: das Weimarer Land.
Was Sie in diesem Beitrag erwartet:
- Zufallsfund, Entdeckung – und manchmal Offenbarung
- Es kamen mir die Tränen in die Augen
- Eine neue Welt, eine grenzenlos weite, unerschöpflich reiche
- Alte Brücken, alte Dorfkirchen, alte Gebäude in erdfarbenem Gewand
- Resonanzboden seiner Empfindungen
- Goethe-Erlebnisweg: Liebesbriefe aus dem Waldbadezimmer
- Feininger-Radweg: Die Mystik im Schlichten
Zufallsfund, Entdeckung – und manchmal Offenbarung
Es ist das Schicksal der Region, immer ein wenig im Schatten der berühmten Klassikmetropole in ihrem Herzen zu stehen. Weimar ist als Goethestadt selbst in Japan bekannt, auch Erfurt und Jena, die die Region im Westen und Osten begrenzen, haben internationales Renommee. Aber wer außerhalb Thüringens kennt schon Blankenhain, Nohra, Mellingen oder Oßmannstedt? Das macht das Weimarer Land für viele Besucher zum Zufallsfund, zur Entdeckung - und manchmal zur Offenbarung. Das war es für Feininger ebenso wie 150 Jahre zuvor für das „klassische Viergestirn“ Wieland, Goethe, Herder und Schiller.
Das Weimarer Land ist sehr dünn besiedelt. Auf 800 Quadratkilometern leben nur rund 80.000 Menschen. Berlin hat die vierzigfache Bevölkerungsdichte! Die Ruhe, die Weite, der Frieden und das Glück, das die Künstler hier empfanden: In den Briefen Feiningers an seine Frau oder Goethes an Charlotte von Stein wird das immer wieder erwähnt.
„Es kamen mir die Tränen in die Augen“
"Gestern, als wir nachts von Apolda zurückritten", schrieb der 26-jährige Goethe im Juli 1776, "fiel mir auf, dass mir die Gegend so lieb ist, das Land! Der Ettersberg! Die unscheinbaren Hügel! Und mir fuhr’s durch die Seele - wenn du nun auch das einmal verlassen mußt! Das Land, wo du so viel gefunden hast, wo du alle Seligkeit gefunden hast, von der ein Sterblicher träumen darf ... Es kamen mir die Tränen in die Augen ...“.
Oder Feininger im September 1913: „Als ich oben auf dem Mühlenberg stand und vor mir rechts in der Tiefe Weimar und gegenüber im Nordwesten der Ettersberg so dunstig und schön lagen, war mir die Brust nicht weit genug für die Liebe, die ich zu diesem Orte trage!“ Im Juni 1914 schreibt er: „Ich habe in diesen Tagen wieder eine innige Fühlung gewonnen, draußen, mit der Welt der großen Formen, der großen Rhythmen [...]“.
„Eine neue Welt, eine grenzenlos weite, unerschöpflich reiche“
Was faszinierte die großen Geister am Weimarer Land? Für Goethe gibt der Literaturwissenschaftler Wolfgang Vulpius in seinem Werk „Goethe in Thüringen“ einen Hinweis: „Alle Biographien schildern ausführlich die höfischen und literarischen Kreise und die kleinstädtische Welt, in die Goethe eintrat, als er nach Weimar kam, aber keine hebt hervor, dass sich dem Ankömmling noch eine neue, grenzenlose, unerschöpfliche Welt auftat: die Natur“.
Seine Kindheit und Jugend hatte der Dichter und Denker in der Stadt verbracht. Und er liebte sein neues Leben im Weimarer Land! Schon bald nach seiner Ankunft entdeckte er die Jagd für sich. Die Wege von Weimar in die Umgebung legt er am liebsten auf dem Rücken eines Pferdes zurück. „Aus der Straßen quetschender Enge ...“: Der berühmte „Osterspaziergang“ aus Goethes „Faust“ ist auch eine Liebeserklärung an seine neue Heimat.
Und Feininger? Für den aus den USA stammenden Maler, Grafiker und Karikaturisten ist nicht nur die Natur interessant, sondern vor allem die Spuren, die die Menschen hier über Jahrhunderte hinterlassen haben. Alte Architektur in ländlicher Umgebung: Das wird sein wichtigstes Motiv. „Feininger hatte eine Sehnsucht nach dem Ursprünglichen - und das fand er im Weimarer Land im Überfluss“, sagt die Architektin und Feininger-Expertin Renate Böttcher, die den Feininger-Radweg durch das Weimarer Land konzipiert hat und Führungen zu Feininger anbietet.
„Alte Brücken, alte Dorfkirchen, alte Gebäude in erdfarbenem Gewand“
Wie für Goethe öffnete sich auch für Feininger eine neue Welt. Auch für ihn war es der Schritt vom städtischen zum ländlichen Leben. In Berlin war er 15 Jahre lang ein gefragter Karikaturist gewesen, eingebunden in regelmäßige Redaktionssitzungen und die Hektik der Großstadt. Doch „irgendwo, tief in ihm verborgen, war die Sehnsucht, von all dem Abschied zu nehmen und Maler zu werden“, so Böttcher. Im November 1905 äußert er in einem Brief den Wunsch, „alte deutsche Städte zu besuchen und zu zeichnen“.
Im Februar 1906 kam er nach Weimar. Gleich am Morgen nach seiner Ankunft, es liegt Schnee, bricht er auf und zeichnet das erste Dorf südlich der Stadt: Oberweimar. Es sind genau diese Szenen, die er für den Rest seines Lebens festhalten wird: alte Brücken, alte Dorfkirchen, alte Gebäude in "erdfarbenem Gewand", wie er es nennt.
Immer wieder ist Feininger mit seinem Zeichenblock in der Umgebung von Weimar unterwegs - anfangs zu Fuß, später mit dem Fahrrad. Tausende von Skizzen entstehen. Fast 60 verschiedene Dörfer im Umkreis von 30 Kilometern um Weimar hat der Künstler entdeckt und gezeichnet. Einige Skizzen werden später im Atelier zu Gemälden. Fast 80 widmete er dem Weimarer Land! Bevorzugte Orte waren Gelmeroda (13 Bilder), Oberweimar (10), Mellingen (6) und Gaberndorf (5). Es folgen Possendorf, Vollersroda und Niedergrunstedt mit je vier Bildern.
„Resonanzboden seiner Empfindungen“
Zu den Orten, die außerhalb der Stadt Weimar für Goethe von besonderer Bedeutung wurden, zählen die drei fürstlichen Lustschlösser Ettersburg, Belvedere und Tiefurt mit ihren prachtvollen Parkanlagen. Hier ist der Dichter immer wieder Teil und oft Mittelpunkt interessierter höfischer Gesellschaften. Gerne besucht der Universalgelehrte auch den Ettersberg, den markanten Höhenzug im Norden der Stadt, zwölf Kilometer lang und vier Kilometer breit. Für Wolfgang Vulpius ist der Berg sogar „ein gutes Beispiel dafür, wie das Thüringer Land Goethe zum Lebensraum, zum Resonanzboden seiner Empfindungen, zum Gegenstand seiner staatsmännischen Fürsorge, zum Feld naturwissenschaftlicher Forschung und zum Raum stillen Rückblicks des Greises wurde“.
Auch Berka (später Bad Berka) spielt für Goethe eine wichtige Rolle. Immer wieder kommt der Dichterfürst aus den unterschiedlichsten Gründen hierher. Und immer wieder erwähnt er die Ruhe des Ortes, die ihn inspiriert. „Die Tage in Berka empfand Goethe als herrlich lang, sie dehnten sich in ganz ungewohnter Weise und kamen seinem literarischen Engagement zugute“, schreibt Vulpius.
All das zeigt, wie wichtig die Weimarer Region für Biografie und Werk Johann Wolfgang von Goethes und Lyonel Feiningers ist. Doch wo beginnt der Besucher, der auf ihren Spuren wandeln, der die Region mit ihren Augen sehen will? Zwei kulturtouristische Angebote erleichtern den Einstieg:
Goethe-Erlebnisweg: Liebesbriefe aus dem Waldbadezimmer
Der Goethe-Erlebnisweg zwischen Weimar und Großkochberg mit Stationen in Bad Berka und Blankenhain basiert auf einer historischen Route, die Johann Wolfgang von Goethe selbst regelmäßig nutzte, um seine Vertraute Charlotte von Stein zu besuchen.
Doch die Route ist kein trockener Goethe-Lehrpfad. Die 12 Erlebnisstationen entlang des knapp 30 Kilometer langen Etappenweges haben zwar mehr oder weniger mit Goethe und seiner komplexen geistigen Beziehung zu Charlotte von Stein zu tun, laden aber an Stationen mit Titeln wie „Herzsprung“, „Waldbadezimmer“ oder „Liebesbriefe“ auch spielerisch und oft humorvoll dazu ein, vor allem die Natur, die Landschaft, sich selbst und die eigenen Verbindungen im Leben neu wahrzunehmen.
Goethe-Erlebnisweg
Länge: 29 Kilometer, ca. 8 Stunden, 3 Tagesetappen
Erlebnisstationen: 12
Route: Weimar – Bad Berka – Blankenhain – Großkochberg – Weimar
höchste Erhebung: 511 Meter
www.goethe-erlebnisweg.de
Feininger-Radweg: Die Mystik im Schlichten
Hoher Sattel, niedriger Lenker, keine Federung: Feiningers minimalistisches Sportrad der Marke „Cleveland-Ohio“ sieht unbequem aus. Aber der Künstler liebte es. Und er liebte es, damit auf ausgedehnten Touren das Weimarer Land zu erkunden - unbeeindruckt von den damals oft rustikalen Straßenverhältnissen.
Aus seinen Skizzenbüchern und Gemälden entstand vor 25 Jahren, als Weimar Kulturhauptstadt Europas war, eine rund 30 Kilometer lange, ausgeschilderte Radtour Feiniger-Radweg durch das Weimarer Land zu seinen Hauptmotiven. Glasvitrinen mit Reproduktionen ermöglichen den Vergleich zwischen Original und Feiningers Umsetzung. In Feiningers „Lieblingskirche“ in Gelmeroda gibt es sogar eine kleine Dauerausstellung über den Künstler. Feininger-Fans aus aller Welt tragen sich hier ins Gästebuch ein.
Feininger-Radweg
Länge: 28 Kilometer
Route: Weimar – Taubach – Mellingen – Vollersroda – Possendorf – Gelmeroda – Niedergrunstedt – Weimar
www.weimarer-land.travel/feininger-radweg
Weitere lohnende Ziele für individuelle Erkundungen des Weimarer Landes auf den Spuren der großen Geister sind Bad Berka mit seinem historischen, vom Goethefreund Clemens Wenzeslaus Coudray im klassizistischen Stil gestalteten Badegesellschaftshaus oder das Wielandgut in Oßmannstedt, wo sich der Schriftsteller Christoph Martin Wieland eine „Insel des Glücks und des Friedens“ schaffen wollte und eine Zeit lang als Landwirt versuchte.
Hier und an zahlreichen weiteren Orten der Region spüren Besucher vielleicht etwas von dem Feinen, Unaussprechlichen, das den Landstrich im Herzen Thüringens für viele große Geister zum Sehnsuchtsort machte, oder wie Feininger 1913 schreibt: „Ich habe erst hier richtig das Ganze von Erdball und Himmel zugleich begreifen lernen, es ist nicht zu umgehen, und doch sieht’s keiner von allen.“
Quelle: Landratsamt Weimarer Land c/o THIEL Public Relations e.K.